Aus unserer Erfahrung können wir Folgendes berichten:
Erkrankt ein Elternteil schwer und lebensbedrohlich in einer Zeit, in der sich die Familie aufbaut und die Kinder großgezogen werden, bringt das das gesamte Gefüge in eine Schieflage. Das berühmte Mobilé ist nicht mehr in der Waage.
Man meint, dass je kleiner ein Kind ist, desto weniger traumatisch das Erleben dieser Belastungssituation. Unserer Erfahrung nach stimmt dies nicht. Kleinere Kinder haben nur nicht die Kommunikationswerkzeuge, um über ihre Ängste zu sprechen. Wir sind im Gegenteil eher sogar der Meinung, dass kleinere Kinder eine sehr viel schwerere Situation haben, da sie ihre Umwelt über Emotionen wahrnehmen und diese dann aber nicht verarbeiten können, weil sie von einer Sekunde zur nächsten mit einem Verlust ihres gewohnten Alltags konfrontiert sind. Sie verfügen aber nicht über genügend „Ablagemöglichkeiten“ dieser Gefühle in ihrem noch jungen System. Das kann zu Entwicklungsstörungen und Verlustängsten extremster Art führen.
Je nach Alter erleben die Kinder so eine Erkrankung sehr unterschiedlich. Jüngere Kinder haben keine Vorstellung von der Möglichkeit des Sterbens und vom Todsein. Das bleibt sehr lange abstrakt (es ist ja auch für Erwachsene schwierig, sich das vorzustellen und erst recht dann, wenn es einen selbst betrifft). Sie erfahren aber die Veränderung ihres gewohnten Alltags mit den Abläufen, die nun nicht mehr so sind wie früher, als beängstigend. Der Verlust von Stabilität scheint bedrohlich.
Etwas ältere Kinder entwickeln schon eher eine diffuse Ahnung, wenn es darum geht, dass die Mutter oder der Vater vielleicht nicht mehr gesund werden. Aber nicht nur das Alter spielt eine Rolle, sondern auch der Charakter. Je verschlossener ein Kind ist, desto mehr wird es allein versuchen, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen. Dies kann zu einer großen Verunsicherung und letztenendes auch Überforderung führen. Doch die Kinder äußern auch dies nicht, ziehen sich zurück und sind schwer zu erreichen. Sie treten eine Flucht an in Welten, in denen sie vermeintliche Sicherheit und Anonymität erfahren (z.B. im Internet ). Für alle Altersstufen gilt: Die Eltern, die für die Kinder gemeinhin der Inbegriff von Schutz und Stabilität sind, können diese Aufgabe nicht mehr leisten, was zu großer Verunsicherung und Verzweiflung führt, auf beiden Seiten.
Einig sind wir uns darin, dass die Kinder auf jeden Fall sehr zeitnah von der Erkrankung und von dem weiteren Verlauf unterrichtet werden sollten. Kinder haben ein Recht auf ihre eigene Traurigkeit und darauf, Verluste (sei es vom gewohnten Alltag oder vom tatsächlichen Verlust des Elternteils durch dessen Versterben) in ihrem Tempo zu verarbeiten. Den Kindern die Erkrankung zu verschweigen, ist nur ein vermeintlicher Schutz und dient eher den Erwachsenen, die sich naturgemäß vor den Emotionen der Kinder scheuen. Dies ist verständlich, aber auf lange Sicht können dadurch weitere Probleme entstehen und Gespräche werden immer schwieriger. Das Kind spürt, dass etwas nicht stimmt, und sieht sich selbst als Schuldigen oder Verursacher dieser Problematik.
Der Ansatz in unseren Gruppen, die wir für die Kinder erkrankter Eltern anbieten, besteht darin, dass die Kinder in einem geschützten Raum mit ebenfalls Betroffenen über ihre Situation sprechen resp. zeichnen, oder aber erkennen können, dass sie nicht allein sind. Diese Gemeinsamkeit holt sie aus ihrer Isolation, die sie im Schulalltag erleben, heraus. Sie sollen sich ihrer eigenen Gefühle bewusst werden können, sollen erkennen können, dass auch sie ein Recht auf Wut, Trauer, Freude haben; dass sie lachen oder wütend sein dürfen. Gemeinsam mit der Therapeutin können sie lernen, ihre vorhandenen Stärken freizulegen und zu festigen. Wir unterstützen eine bedürfnisorientierte Begleitung zur Stärkung des Kindes, verstehen unseren Ansatz als präventive Unterstützung und arbeiten ressourcenorientiert. Wichtig finden wir in diesem Zusammenhang aber auch, die Eltern zu ermutigen, sich ebenfalls durch Psychoonokologen begleiten zu lassen. Sie haben in der Regel großen Gesprächsbedarf, um ihre neue Situation neu zu ordnen und Ängsten Raum zu geben.