Christina Haacke liest „Leben ohne Mama Maus – Ein Kinderfachbuch über Suizid in der Familie“
Darum geht’s:
Mama Maus lebt mit ihren drei Mäusekindern und ihrem Mann in einem kleinen Mäuseloch. Sie sind alle sehr glücklich, haben viel Spaß zusammen, spielen viel und lachen, doch plötzlich wird Mama Maus krank. Dunkle Wolken ziehen um sie herum auf, sie kann sich immer weniger freuen, wird stiller und grübelt viel. Irgendwann ist es so schlimm, dass sie beschließt in ein Dunklewolkenmäusekrankenhaus zu gehen. Dort hilft man ihr und die Wolken verschwinden tatsächlich. Als sie entlassen wird, geht es ihr wieder gut. Und das Leben geht weiter wie zuvor. Doch irgendwann sind die Wolken wieder da. Diese dunklen Wolken, die nur Mama Maus sieht. Sie schämt sich schrecklich und fasst dann einen Entschluss, der endgültig ist. Sie möchte nicht mehr in und mit dieser Traurigkeit leben…
Darum lesenswert:
Rund 5,3 Millionen Menschen sind in Deutschland an der Krankheit Depression erkrankt. Und nicht wenigen von ihnen geht es so wie Mama Maus. Sie beenden ihr Leben, weil sie einfach keinen anderen Ausweg sehen. Und sie hinterlassen Menschen, die fassungslos und manchmal wütend, immer unendlich traurig und oft auch einfach nur sprachlos sind. Erwachsene können es vielleicht noch einordnen, haben das Leid gesehen, wissen oder ahnen, was ein Leben mit dieser Krankheit bedeutet. Aber Kinder? Kinder, die ihre Eltern durch Suizid verlieren, stehen vor dem Nichts. Sie brauchen Erklärungen. Sie brauchen Sicherheit, die richtigen Worte, eine Haltung, um damit leben zu können, künftig ohne Mama oder Papa leben zu müssen. Sie brauchen einfach die Versicherung, dass ihre Liebe genug, die Depression am Ende nur eben stärker war.
„Leben ohne Mama Maus“ ist nicht das erste Buch, was ich zu dem Thema „Suizid eines Elternteils“ rezensiere, aber selten hat mich die Ansprache und die Idee dahinter so überzeugt wie in diesem Fall. Das Buch ist aufgeteilt in drei Teile. Im Ersten wird die Geschichte von Mama Maus erzählt – sehr berührend, sehr einfühlsam und auch sehr ehrlich. Da wird der Suizid nicht beschönigt, nicht verklärt, sondern benannt und so eingeordnet, dass es ein Kind verstehen kann. Im zweiten Teil werden die kleinen Leser*innen direkt angesprochen, in dem eines der Mäusekinder seine Perspektive schildert. Wie es getrauert hat, was ihm geholfen, was ihn bewegt hat. Und im dritten Teil bekommt der Erwachsene hilfreiche und praktische Tipps, wie man Kindern in dieser Situation beistehen kann. Die beiden Autorinnen Verena Gärtner und Melanie Gräßer haben zusammen mit der Illustratorin Annika Botved wirklich ein sehr durchdachtes und liebevolles Trauerbuch geschaffen. Text und Bild harmonieren sehr, die Sprache ist gut verständlich – und wirklich immer sehr einfühlsam. Ein weiteres Plus ist das umfangreiche Zusatzmaterial, was man per QR-Code bequem zu Hause mit dem Smartphone herunterladen kann. Die kleinen Leser*innen können dann selbst aktiv werden und ihre Trauer verarbeiten – mit Bildern zum Ausmalen, sogenannten Ritual-Plänen, Notfall-Listen, und vielen anderen toll gestalteten Arbeitsblättern.
Was mich persönlich zudem sehr berührt hat, ist die Tatsache, dass eine der Autorinnen, Verena Gärtner, genau weiß, wovon sie schreibt. Denn sie selbst hat ihre Mutter durch Suizid verloren und musste und wollte ihren Kinder irgendwann erklären, was genau das heißt. Und dieses Bedürfnis spürt man, in der Liebe, die in diesem Buch steckt und in dem Vertrauen, was es vermittelt: Depression ist eine Krankheit, Suizid ein schrecklicher Ausweg und die, die zurückbleiben tragen keine Schuld. Und irgendwann, auch wenn es erst nicht vorstellbar ist, kann und darf alles wieder gut werden. Anders gut. Aber gut.
Kurzcheck: „Leben ohne Mama Maus – ein Kinderfachbuch über Suizid in der Familie“
Bester Moment im Buch:
„Eins habe ich gelernt: Man kann nicht richtig oder falsch traurig sein. In unserer Familie hat jeder anders getrauert. Und bei jedem hat es unterschiedlich lange gedauert, bis er wieder lustig sein oder richtig viel Spaß beim Spielen haben konnte. Jede Maus, egal, ob klein oder groß, trauert auf ihre eigene Art und Weise. Das ist in Ordnung so! Und man darf traurig sein.“
KuL-Lesenswert-Sterne: 5 von 5
Autorinnen: Verena Gärtner und Melanie Gräßer
Illustratorin: Annika Botved
Verlag: Mabuse-Verlag
Für wen: Für Kinder ab 4 Jahren
Format: Gebundenes Buch, Hochformat
Preis 27,00 Euro